Gedanken ordnen

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Gestalten mit Trockenton

Seit vielen Jahren treffe ich mich Freitags mit meiner Freundin Ute. Es ist eine stehende Verabredung, die jedoch zwanglos ist und kurzfristig zugunsten anderer Wochenendaktiviäten abgesagt werden kann, ohne dass die eine der anderen böse ist. Wenn unser Treffen stattfindet, kochen wir gemeinsam, tauschen uns über die Ereignisse der Woche aus, spielen etwas oder basten und werkeln gemeinsam.

An einem dieser Freitagabende brachte Ute eine lufttrocknende Modelliermasse mit. Davon hatte ich bislang nicht gehört, als sie jedoch sagte, es sei FIMO sehr ähnlich, wurden bei mir Kindheitserinnerungen wach. Mit meiner Mutter machte ich damals Türschilder, kleine Figuren und vieles mehr aus der wohlbekannten Knetmasse. Bis zu diesem Abend hatte ich FIMO komplett vergessen. Ute erklärte die Vorteile des Trockentons, der deutlich günstiger ist als FIMO und auch keine Trockenzeit im Ofen benötigt, sondern einfach an der Luft erhärtet. Die Modelliermasse ist farbneutral und kann nach dem Aushärten, mit beispielsweise Acrylfarben, angemalt werden.

Die ersten Projekte

Es war kurz vor Weihnachten und Ute hatte auch bereits eine Idee, was sie aus dem Ton machen wollte. Sie zeigte mir ein DIY youtube-Video mit einer Anleitung für einen Weihnachtsbaum mit LED-Kerze. Mir gefielt die Idee sofort und wir legten los, folgten der Anleitung des Videos. Am Ende des Abends hatten wir beide zwei kleine Weihnachtsbäume aus Ton geschaffen. Da der Ton schnell trocknet, hatten wir sogar noch Zeit, die Bäumchen zu bemalen. Ein Weinkorken mit einer runden Pappe diente als Auflage für die LED-Kerze und gleichzeitig als Stamm und Halt für den Weihnachtsbaum. Der Abend verging wie im Fluge und wir freuten uns beide über das schöne Resultat.

In der folgenden Woche machte Ute den nächsten Vorschlag. Sie hatte auf Facebook eine Gruppe gefunden, die Feenhäuschen gestaltet, eins schöner als das andere. Die Übung mit dem Weihnachtsbaum erwies sich als hilfreich für die Herstellung der etwas aufwendigeren Feenhäuschen, denn das Prinzip bleibt gleich. Man bastelt zunächst eine Schablone aus Pappe, um den Ton darum zuwickeln. Alufolie ist ebenfalls nützlich, um freie Formen zu gestalten, beispielsweise den Kamin der Feenhäuschen. Es empfiehlt sich, die Pappe mit Frischhaltefolie zu ummanteln, damit Pappe und Ton nicht miteinander verkleben. Ist der Ton etwas angetrockenet, kann man die Pappe vorsichtig entfernen, den Ton weiter trocknen lassen und ihn dann bemalen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Königsklasse

Mein Freund hatte unser Werkeln interessiert beobachtet und brachte eine neue Idee ins Spiel. Inspiriert von der Neflix-Serie "Das Damengambit" schlug er vor, ein Schachspiel aus Trockenton zu machen. Ich spiele zwar kein Schach, war aber von der Aussicht auf gemeinsame Bastelabbende begeistert. Wir kauften im Baumarkt weitere Modelliermasse (Keramiplast) sowie ein paar Schnitz-und Schneidewerkzeuge. Dann suchten wir nach Vorlagen für die Schachfiguren, druckten die Vorlage in Originalgröße der Figuren aus und beschlossen mit den Bauern, welche uns am einfachsten erschienen, anzufangen. Ein paar Stunden später mussten wir leider feststellen, dass es mitnichten einfach ist, die Bauern alle in derselben Größe zu produzieren. Einige waren klein und dick, die Nächsten größer als geplant. Mein Freund empfahl, einen Bauern aus seinem Schachspiel als Muster zu nehmen. Wir drückten den Bauern in den Ton, in der Absicht eine Art Gußform zu erstellen, damit sie alle gleich groß würden. Am darauffolgenden Tag war die Gußform ausgehärtet und wir drückten den Ton hinein, lösten die Masse vorsichtig wieder heraus und wiederholten die Prozedur erneut, um jeweils zwei gleiche Hälften zu erhalten. Wir legten beide Hälften aufeinander und verstrichen die Ränder mit Wasser, bis beide Teile zu einer Figur verschmolzen.

Jede Farbe des Schachspiels braucht 8 Bauern und so verbrachten wir Wochen, bis wir 16 einigermaßen gleich große Figuren fertig hatten. Zwischenzeitlich nahmen wir uns andere Schachfiguren vor, um etwas Abwechslung zu haben. Lediglich für die Bauern nutzen wir unsere Gußform, die übrigen Figuren formten wir freihändig nur nach der gedruckten Papiervorlage. Als Fuß für die Figuren dienten uns Unterlegscheiben in unterschiedlicher Größe, welche auch ein guter Anhaltspunkt für den Durchmesser der Figur waren. So vergingen viele, viele Abende in denen nacheinander Türme, Springer sowie König und Königin entstanden. Die Figur des Springers empfand ich als die Schwierigste, dennoch gelang es uns beiden, jeweils zwei annähernd gleiche Pferdchen zu gestalten.

Als nächstes berieten wir, wie und woraus wir das Schachbrett machen wollten und entschieden, bei der Modelliermasse zu bleiben. Mit einem Nudelholz bearbeiteten wir einen großen Tonklumpen zu einer Fläche von 35 x 35 cm und ca. 2 cm Höhe. Die Trocknungszeit war hier deutlich länger als bei den Figuren, einfach aufgrund der Tonmenge. Nachdem Figuren und Brett vollständig hart waren, nutzen wir ein feines Schleifpapier (120er Körnung), um die Oberflächen zu glätten. Dieser Prozess hat mir am wenigsten Spaß gemacht, denn es war sehr mühsam, die Figuren, insbesondere König und Königin mit Ihren Kronen, zu schleifen ohne sie zu beschädigen.

Hingucker

Zum guten Schluss wählte jeder seine Farbe. Ich entschied mich für Schwarz, denn ich war bei den Schleifarbeiten weniger sorgsam als mein Freund gewesen und hoffte, die schwarze Farbe würde die ein oder andere Unebenheit kaschieren. Weitere Abende vergingen, bis alle 32 Figuren und das Spielbrett vollständig angemalt waren. Nachdem auch die Farbe getrocknet war, spielten wir die erste Runde Schach mit unserem selbstgemachten Spiel. Während mein Freund schon seit langer Zeit Schach spielt, bin ich eine blutige Anfängerin. Anders als die Protagonistin in der Netflix-Serie bin ich auch leider kein Naturtalent und verlor somit Runde um Runde. Heute steht unser Schachspiel auf einer kleinen Kommode und dient als wunderschöner Blickfang sowie als Erinnerung an viele schöne gemeinsame Abende, in denen wir in trauter Zweisamkeit kreativ waren.