Gedanken ordnen

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Reit-Trail Korsika

Meine Arbeitskollegin Katja fährt regelmäßig alleine in den Urlaub. Sie fliegt allein eine Woche nach Sylt, war ohne Begleitung in St. Petersburg und ist auf sich gestellt den Jakobsweg gegangen. Als wir uns kennenlernten, war mir der Gedanke alleine Urlaub zu machen, völlig fremd, denn ich war noch nie alleine verreist. Als Kind bin ich mit meinen Eltern verreist, als Teenager habe ich mit Freundinnen Jugendreisen mit SAGA gemacht. Mit 19 bin ich das erste Mal mit meinem Freund nach Mallorca geflogen. Diesem folgten noch viele gemeinsame Urlaube. In meinen Single-Zeiten reiste ich mit meinem Bruder oder meiner Freundin und zweimal mit meiner Tante. Auch mit meinem Vater fuhr ich gern und einmal jährlich in den Kurzurlaub.

So hätte es für mich auch gern weitergehen können, dennoch stand ich im Sommer 2016 auf einmal vor der Frage, ob ich dieses Jahr alleine Urlaub mache oder gar nicht wegfahre. Mein Vater war im Februar verstorben, meine Freundin hatte mit einem Bandscheibenvorfall zu kämpfen und mein Bruder erklärte, er habe schlicht und einfach kein Geld für einen weiteren Urlaub, weil er bereits mit Freunden nach Griechenland wolle.

Da der Familienurlaub einer weiteren Freundin mit Mann und zwei Kindern auf einem Bauernhof auch nicht meiner Wunschvorstellung von Urlaub entsprach, sann ich über weitere Optionen. Der Gedanke, eine ganze Woche mit mir allein zu verbringen und möglicherweise jeden Abend alleine essen zu gehen, hielt mich ab, einfach ein Hotel am Strand zu buchen. Aus dem Alter der Jugendreisen war ich raus. 2016 war ich Single, dennoch schreckte mich auch die Vorstellung einer Single-Reise ab. Man weiß ja nie, was da für Leute mitfahren! Es meiner Kollegin gleichzutun und alleine nach Russland zu reisen oder gar den Jakobsweg zu gehen, unvorstellbar. Unvorstellbar, da ich nicht gerade für meine Orientierungskünste bekannt bin. Noch dazu bin ich vor einer Flugreise sehr nervös, bis ich im Flugzeug sitze, da ich bis Einstieg ins Flugzeug unablässig befürchte meinen Flug zu verpassen.

Etwas Neues ausprobieren

Am Ende war mein Hobby ausschlaggebend für meine Urlaubswahl und ich buchte einen Reittrail auf Korsika über Pferd & Reiter. Vom Flughafen Düsseldorf war ich schon viele Male abgeflogen und der Flughafen in Bastia erschien mir klein genug, um dort nicht verloren zu gehen. Die Flugzeit war angenehm kurz und französisch spreche ich auch. Zudem war meine Erwartung, auf dem Reittrail Gleichgesinnte -höchst wahrscheinlich Frauen- zu treffen, die meine Verbundenheit zu Pferden und die Liebe zur Natur teilten.

Reisebericht

Leider passten meine Flugzeiten nicht mir der Abholungszeit des Trail-Anbieters am Flughafen, daher reiste ich am Abend vorher an und buchte ein günstiges Hotel in Bastia. Die Nervosität am Reisetag hielt sich in Grenzen und war angenehm durchmischt von wachsender Vorfreude. Nach Ankunft organisierte ich einen Stadtplan und fand auch schnell den Bus in die Innenstadt. Während der Fahrt, die Dämmerung war bereits angebrochen, studierte ich den Plan und versuchte mein Hotel zu finden. Entsetzt stellte ich fest, dass mein Hotel wohl außerhalb des Plans liegen musste. Mein Handytarif sah keine mobilen Daten im Ausland vor und so wuchs in mir die Frage, wie ich denn nun mein Hotel finden sollte und wo aus diesem Bus aussteigen. Der Bus leerte sich und ich sprach den Fahrer an, erklärte ihm auf französisch mein Problem.

Unerwartete Hilfe

Der Busfahrer erwies sich als überaus freundlich und hilfsbereit. Mein Hotel war ihm bekannt und zu meinem großen Glück lag es auf dem Weg zur Bus-Station, die sein letztes Ziel vor dem Feierabend war. Er sagte mir ich sollte einfach im Bus bleiben, bis alle Fahrgäste ausgestiegen waren. Nachdem dies geschehen war, ging ich nach vorne und wir unterhielten uns. Mittlerweile war es vollständig dunkel. Nach gut 10 Minuten Fahrt stadtauswärts, hielt er am Fuße eines Hügels und erklärte bedauernd sein Bus könne die schmale Straße zum Hotel nicht fahren, aber es sei gleich oben auf dem Hügel links. Er muss wohl meinen skeptischen Blick gesehen haben, denn er erklärte sofort das Viertel sei sehr sicher, ich müsste mir keine Gedanken machen. Ich bedankte mich überschwänglich, stieg aus und erklomm den kleinen Hügel, der zugegeben nicht im schönsten Stadtteil Bastias lag.

So war auch mein Hotel nicht das schönste der Stadt, dennoch ging ich mit einem Glücksgefühl auf mein winziges Zimmer. Der erste Tag meines Urlaubs allein ging zu Ende und ich war trotz fehlendem Orientierungssinn, sicher am Ziel angelangt. Zuversichtlich, dass auch die nächsten Tage angenehm, aufregend und schön werden würden, legte ich mich ins Bett und schlief mit der Gewissheit ein, dass sich im Falle eines Problems sicher jemand finden würde, der mir weiterhelfen würde.

Auf zur Pferde-Ranch

Am nächsten Tag fand ich meinen Weg zurück zum Flughafen ohne Hilfe und setze mich in die Nähe des Treffpunkts auf eine Sitzbank im Inneren. Es dauerte nicht allzu lang bis mir eine junge, alleinreisende Frau mit Pferdeschwanz auffiel, die ebenfalls zu warten schien. Noch dazu hatte ihr Gepäck einen ähnlichen Umfang wie meins und einen Schlafsack hatte sie auch dabei. Ich beobachtete sie noch eine Weile, bevor ich sie ansprach. Meine Beobachtung war richtig gewesen, denn sie wartete geleichermaßen auf den Transport zur Pferde-Ranch, die sich wiederum irgendwo im Nirgendwo befand. Erfreut, dass die erste Teilnehmerin mir sofort sympathisch war, setzte ich mich zu ihr und wir warteten gemeinsam auf die Anderen. Unsere Wartezeit wurde durch die Aufforderungen der französichen Polizei, das Gebäude zu verlassen und ins Freie zu gehen, recht unterhaltsam. Kurz nach der Entwarnung und Rückkehr ins Innere, erfolgte die zweite Aufforderung das Gebäude zu räumen. Die vorliegende Bombendrohung sorgte für eine angespannte, nervöse Stimmung und ich war froh, nicht allein zu sein. Etwas verzögert landeten die Maschinen der anderen Reiter (insgesamt sechs Frauen und ein Mann) und wir fuhren gemeinsam zur Ranch.

Der Trail

Der Sternenhimmel am Abend über der Ranch, fernab der Lichter der Stadt, war atemberaubend. Nach einem späten Abendessen, bezogen wir unsere Quartiere in Form von Wohncontainern, zu je vier Personen. Schon am nächsten Morgen lernten wir unsere Pferde kennen und machten nach dem Frühstück einen ersten Ausritt zum Kennenlernen der Pferde. Am nächsten Tag ritten wir los, die Satteltaschen voller Proviant für das Mittagessen unterwegs. Unser Gepäck wurde fortan in einem kleinen Transporter hinterher gefahren. Wenn wir am Abend verschwitzt, gut gelaunt und sehr hungrig am Ziel ankamen, wartete dort bereits Lucy, unsere Köchin mit einem leckeren Abendessen. Die Tage hatten eine wunderbare Routine, bestehend aus Frühstück, Pferde putzen, satteln und reiten bis zum Mittag. Am Nachmittag ging’s weiter, bis wir am Abend die nächste Etappe unseres Trails erreichten und die Pferde versorgten, bevor wir zum Abendessen gingen und den Abend gemeinsam ausklingen ließen.

Diese angenehme Routine wurde durch lange Galoppstrecken in den Weinbergen, einem Ritt am Strand mit unvergesslichem Bad im Meer gemeinsam mit den Pferden und einer Übernachtung im Zelt, hoch in den Bergen bei den Wildschweinen zu einem unglaublich schönem Trail. Die Landschaft war sehr abwechslungsreich und die Pferde waren gut trainiert, gingen mühelos durch ausgetrocknete Flußbetten und erklommen trittsicher die bergige Landschaft. Meine Gruppe war genauso ein Glücksgriff, wie Claire, die Trailführerin. Angereist aus aus Deutschland, Frankreich und Belgien haben wir uns alle super verstanden. Claire ist Britin und spricht fließend englisch und französisch, sie hat uns zielsicher durch Wälder, Berge und Macchia geführt. Mich hat sie mit ihrem ausgezeichneten Orientierungssinn ebenso beeindruckt, wie mit ihrer Fürsorge für die Pferde. Das Wohl und die Versorgung der Pferde standen stets an erster Stelle.

Ein schönes Wiedersehen zum Schluss

Über diesen Trail könnte ich noch stundenlang berichten, denn jeder Tag hatte sein eigenes Highlight und es heißt nicht umsonst auf dem Rücken der Pferde liegt das Glück der Erde. Sogar der Tag der Rückreise hielt noch eine positive Überraschung für mich bereit. Wir wurden per Kleintransporter von Pferd&Reiter wieder am Flughafen Bastia abgesetzt und ich wollte gerade ins Flughafengebäude gehen, als ich jemand auf französisch sagen hörte: “Madame, Sie kenne ich doch! Wie war der Aufenthalt?” Es war mein freundlicher Busfahrer vom Anreisetag und ich freute mich sehr über den Zufall, ihn nach diesen wunderschönen Erlebnissen wiederzusehen.