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Storytime: Urlaubsnacht mit Zelt

Wir stehen zu dritt in mehreren Lagen aus blauen und grauen Plastikbahnen, ein paar Vögel beobachten uns aus sicherer Entfernung bei dem Versuch, die zehn quadratmetergroße Grundfläche zu identifizieren und auf den Boden zu bringen. Neben dem doch recht aufdringlichen Geruch nach neuem Zelt riecht es unterschwellig auch nach Frühling. Im von der Sonne angestrahlten Gras liegen noch ein paar Stangen, Heringe und natürlich rote Schnüre, die später dafür sorgen werden, dass auch jede Umrundung des neuen Eigenheims zur Stolperfalle wird. Trotz dieser Aussicht auf jede Menge blaue Flecke und gebrochene Zehen ist die Realisierung unseres Urlaubsplans während des weiterhin voll durchgreifenden Corona-Lockdowns einfacher als gedacht. Selbst mit zwei minderjährigen Mädels kriege ich den Aufbau des Außenzeltes locker hin und als auch noch mein Mann zwei helfende Hände anbietet, ist der Traum in blau ruck-zuck aufgebaut.

Zwischendurch frage ich mich dennoch, warum wir bei den doch noch recht kühlen Temperaturen dem Wunsch der Kinder nachgegeben und ein Zelt gekauft haben. An diesem sonnenerfüllten Tag fühlen wir uns im Garten zwar nicht mehr nach den dicken Winterjacken, die wir noch vor kurzer Zeit bei jedem Schritt nach draußen benötigt haben. Aber in der Nacht wird sie ihren Weg wohl wieder zurück in unseren Garten finden, die Kälte. Genau aus diesem Grund habe ich auch von vornherein klar gemacht, dass ich bei Planung, Strategie und Umsetzung der Zeltidee gerne dabei bin, aber keinesfalls die nachtschlafende Kälte, die sich von unten immer weiter in den Schlafsack schlängelt, begrüßen wollen würde. Da mein Mann sich erfreulicherweise genau dazu bereiterklärt hat, sind wir nun dabei, das für eine vierköpfige Familie – in der Nacht eben nur noch drei Köpfe – doch recht üppig ausgefallene Zelt im Garten aufzubauen. Ein Umstand, der unserem Kater Max mehr als suspekt ist. Aber er bekommt die Neugier und Freude der Errichtung mit, fügt sich kurzentschlossen der allgemeinen Grundstimmung und erkundet alle neu entstehenden Räumlichkeiten und Gänge alleine oder in Begleitung der Kinder. Den weiteren Tag erledigen wir so ziemlich alles in dem Zelt: Essen, Kartenspielen, Ausruhen, Streiten und was uns sonst noch so einfällt. Ein Outdoortag anstelle einer Reise zu verschneiten Berghängen, na immerhin!

Zugegeben, bei der ganzen Aktion ruft mich weniger das Campingabenteuer, als vielmehr die Aussicht auf eine ungestörte Nachtruhe. Keine Nachfragen, wenn es eigentlich schon Schlafenszeit ist („kann ich noch etwas trinken?“, „ich muss aber nochmal zur Toilette“), kein Mann, der mich erst mit seinem Handylicht und dann mit lautem Schnarchen vom Schlafen abhält, keine nächtliche Unterbrechung durch unruhiges hin und her Wälzen. Dunkelheit und Stille, mein Traum von einer perfekten Nacht. 

Und so erkläre ich den Abend im schummrigen Gartenlicht nur allzu gerne für beendet, wünsche den verbleibenden Familienmitgliedern eine gute Nacht und ziehe mich in mein fest umbautes Domizil mit echtem Lattenrost und dicker, frisch bezogener Decke zurück. Alles um mich herum ist kuschelig und warm und Max rollt sich behaglich schnurrend neben mir ein

Plötzlich geht vor dem Schlafzimmerfenster der Bewegungsmelder an und Max, vom hellen Lichtschein einerseits erschrocken, andererseits magisch angezogen, springt auf. Der Rest der Familie ist ja noch im Garten! Das hatte er offenbar ganz vergessen. Ich sitze aufgerichtet im Bett und beobachte ihn dabei, wie er das nächtliche Treiben beobachtet. So viel Aktion dort draußen, und das um diese Zeit! Die ganze Situation ist mehr als aufregend für ihn und um deutlich zu machen, dass er jetzt viel lieber dort mitmischen würde als mit mir im warmen Bett zu liegen, miaut er lautstark auf der Fensterbank.

Nach etwa 30 Minuten knicke ich ein. Auch wenn ich weiß, dass dies keine erzieherisch sinnvolle Vorgehensweise ist, stehe ich auf und öffne ihm ein Fenster im Bad nebenan. Max quittiert dies mit einer dankvollen Geste, die fast schon wie ein zustimmendes Nicken aussieht und springt raus.

Weitere 30 Minuten später klopft es an der Fensterscheibe des Schlafzimmers. Mein Mann muss noch einmal ins Bad. Als ich nach dem erneuten Aufstehen wieder im Bett liege bin ich hellwach. Da stört es dann auch fast nicht mehr, dass Max die überraschende Erweiterung unseres Familiendomizils um einen Außenbereich durch einen gelegentlichen Sprung auf mein Bett, Laufen über meinen Körper und wieder Hinauseilen kompensiert. Die ungewohnte Stille im Haus verunsichert nicht nur ihn, sondern auch mich. Es ist so gespenstig ruhig, kein Rascheln und Raunen, keine bekannten Geräusche der anderen Mitbewohner. So um den Schlaf gebracht fühle mich plötzlich ganz allein und einsam in meinem großen, warmen Bett.

Am nächsten Morgen sitzen wir alle ziemlich zerknautscht am Küchentisch. Die ungewohnte Umgebung und die frühe Jahreszeit haben tatsächlich die Überhand gewonnen beim Zeltabenteuer. Sogar Max hängt in den Seilen. Allerdings bin ich wohl diejenige, die aus der Familie am wenigsten geschlafen hat in dieser Nacht. Zu viert im Haus oder von mir aus auch zu viert in einem Zelt ist eben doch besser, als getrennt zu schlafen. Wir zwinkern uns alle mit müden Augen an.
Für diesen Tag ist eine Wanderung geplant, was in der Wochenplanung eine erneute Abwechslung in Aussicht gestellt hatte. Nun aber stellt sich die Frage, ob wir alle nicht viel zu müde sind für so eine Aktion und anstelle von körperlicher Aktivität mit gereiztem Geist nicht doch lieber eine Runde schlafen sollten. Eigentlich kann so ein Plan nur im Familienchaos enden! Aber wir entscheiden uns wiederum für das Abenteuer. Wir haben gemeinsame Pläne für die Woche gemacht und die wollen wir auch umsetzen.

Wie sich herausstellt, werden die Wanderung und der gesamte Tag ganz wundervoll. Trotz der sehr kurzen Nacht sind unsere Sinne geweckt und die Energiereserven schier endlos. Ich kann mir nicht erklären, wieso alle mit gehörigem Schlafentzug so positiv gestimmt sind. Es ist eben wohl doch nicht nur der Schlaf, der für einen guten Tag sorgt. Es sind die gemeinsamen Erlebnisse, der Wille, etwas Neues zu wagen und das Wiedersehen nach einer Nacht voneinander getrennt.