Kurswechsel im Kopf - Rezension

Das Buch “Kurswechsel im Kopf - von der Kunst, anzunehmen, was ist, und innerlich frei zu werden”*, im Englischen “A Liberated Mind - How to pivot toward what really Matters”* von Steven C. Hayes war für mich ein Augenöffner. Ja, ich bin ein Grübler, mache mir viel zu oft Gedanken und Sorgen über eigentlich irrelevante Dinge. Selten habe ich mich in einem Buch so wiedergefunden. ACT richtet sich genau an die Grübler und Menschen, denen ihre Emotionen Unbehagen bereiten und erläutert Wege, diese negativen Gedanken anzunehmen.

Einige der von Hayes beschriebenen Methoden habe ich seit dem Lesen des Buches in meinen Alltag integriert und dies hat mich wesentlich zufriedener und ausgeglichener gemacht. Ich kann also schon vorweg sagen, dass ich das Buch jedem ans Herz legen möchte, der sich von den Lebensumständen der heutigen Zeit, von der wirtschaftlichen und weltpolitischen Lage, den Herausforderungen der anhaltenden Pandemie oder der Reizüberflutung der Medien oftmals überfordert fühlt und in seinem eigenen Gedankenchaos festhängt.

Über den Autor

Steven C. Hayes ist ein amerikanischer Psychologe und Psychotherapieforscher und Professor an der University of Nevada in Reno. Er hat die Acceptance and Commitment Therapy (ACT) wesentlich mitentwickelt, eine Form der Psychotherapie, die Achtsamkeit, Akzeptanz und wertebasierte Methoden verwendet. Von ACT handelt auch “A Liberated Mind”, wobei Hayes noch viele weitere Bücher und Artikel im Bereich der Psychologie geschrieben hat.

Ich möchte erwähnen, dass ich selbst kein Psychologe oder Therapeut bin, daher kann ich die wissenschaftlichen Hintergründe des Buches nicht vollständig wiedergeben oder sie bewerten. Noch einmal möchte ich ausdrücklich empfehlen, für fundierte Details das komplette Buch zu lesen oder - wie ich - die Hörbuchfassung zu nutzen. Zudem ersetzt das Buch natürlich keine professionelle Hilfe. Bitte ziehe diese zu Rate, wenn Du das Gefühl hast, dass Du intensiver an Deinen Themen arbeiten solltest.

Struktur

Das Buch ist in drei Teile gegliedert, die grob wie folgt beschrieben werden können:

  1. Problemstellung und wissenschaftlicher Ausgangspunkt

  2. Erläuterung der Acceptance and Commitment Therapy ACT und

  3. Übungen und Fallbeispiele zur Umsetzung im Alltag

Schon die Beschreibung der Ausgangssituation fand ich sehr interessant, der Autor stellt die psychologischen Hintergründe unserer Gedanken und automatisierten Verhaltensweisen sehr anschaulich dar. Ich habe mich in den Themen wiedergefunden und die immer wieder eingestreuten praktischen Übungen und Tipps konnte ich gut umsetzen. Aber worum geht es bei ACT denn eigentlich genau?

Negative Gedanken

Wir alle wünschen uns, dass das Leben einfacher wird, aber das passiert leider nicht. Zwar hat die Menschheit in den letzten Jahrzehnten einige physische Probleme in den Griff bekommen. Der Autor nennt als Beispiele Kindersterblichkeit, die Todesrate von Gebärenden oder Todesfälle aufgrund von Malaria, deren Fallzahlen in den letzten Jahren drastisch gesunken seien.

Psychologisch jedoch verlangt unser heutiger Lebensstil seinen Tribut. Angstörungen oder psychische Belastungen sind weiterhin allgegenwärtig, heute vielleicht sogar noch viel mehr diskutiert und im Fokus der Öffentlichkeit. Unsere Gesundheit leidet also, auch wenn unsere Lebensumstände im Vergleich zu “früher” eigentlich besser sind.

Aber warum sind wir nicht glücklicher, obwohl die moderne Welt uns so viel mehr Sicherheit bietet?

Nach Ansicht von Steven C. Hayes liegt dies daran, dass sich unser Gehirn nicht an die rapide Geschwindigkeit der Änderungen anpassen konnte. Durch die überall verfügbaren Informationen sind wir überflutet mit schlechten Nachrichten, wann immer wir den Fernseher anschalten, ins Handy schauen oder auf sonstige Weise mit Informationen überflutet werden. Überall gibt es Ablenkung, Fernsehshows, Social Media.

Oftmals reagieren wir darauf mit einer Art emotionalem Abstumpfen. Wir wollen negative Gedanken gerne vermeiden, sie ganz tief in uns begraben. Unser Bewusstsein zielt darauf ab, schnelle Problemlösungen zu finden und am einfachsten und schnellsten ist es eben, negative Emotionen, Angst, Stress und Anstrengungen einfach zu verdrängen. Wir mögen diese Gedanken nicht, also scheint es Sinn zu machen, diese auch nicht durchleben zu wollen. Allerdings sind diese Gedanken immer noch in dieser tiefen dunklen Ecke unseres Gehirns vorhanden und werden in ähnlichen Situationen immer wieder hervorkommen. Das Leben ist kein Problem, das zu lösen ist, sondern ein Prozess, der gelebt werden will.

Ein negativer Gedanke kann eine ganze Kaskade weiterer negativer Gedanken nach sich ziehen. Wenn wir versuchen, uns abzulenken, verknüpfen wir die Themen, die wir verdrängen wollen, unbewusst mit den Handlungen, die wir stattdessen vornehmen. Der Autor ist der Meinung, dass Emotionen allenfalls vorübergehend abgestellt werden können. Unser Nervensystem enthält keinen Löschknopf. Zudem wird bei der Verdrängung nicht nur Schmerz vermieden, sondern auch unsere Freude wird abgestumpfter und die Fähigkeit, neue Dinge zu erlernen, wird unterbunden.

Was uns in diesen Situationen weiterhilft ist Psychische Flexibilität. Dabei geht es um die Fähigkeit, aufgeschlossen zu fühlen und zu denken. Wenn wir jeden Moment - auch die Zeiten des Schmerzes - bewusst erleben, können wir in Übereinstimmung mit unseren Werten in die richtige Richtung gehen und unsere Ziele mit Bedeutung und Sinn verwirklichen.

Acceptance and Commitment Therapy ACT

Bei ACT geht darum, die erlebten Schmerzen des Lebens nicht zu verdrängen, sondern mit auf den Weg zu nehmen, ihnen mit Bewusstsein, Offenheit und Freundlichkeit zu begegnen. Wie Hayes beschreibt, müssen wir die Beziehung zu unseren Gedanken ändern, anstatt deren Inhalt zu ändern. Wenn wir versuchen, unsere Ängste zu vermeiden, werden unsere Gedanken zu unserem Feind. Wir suchen nach Gegenmitteln und Ausweichmöglichkeiten und diese Suche diktiert unseren Tagesablauf und gibt den negativen Gedanken die Möglichkeit, größer und größer zu werden. Die Ängste dominieren uns, auch wenn sich alles nur in unserem Kopf abspielt. Im Grunde ist also der Plan, die negativen Gedanken und Dich selbst zu überlisten, indem Du einen anderen Weg einschlägst als die bisherigen Versuche der Verdrängung und Unterdrückung.

Steven C. Hayes hat sechs Schritte entwickelt, um zu dieser psychischen Flexibilität zu gelangen:

  1. Defusion - In dem ersten Schritt geht es darum, Gedanken zunächst einmal zu realisieren, ohne sie direkt zu bewerten. Es soll eine Distanzierung von unseren Gedanken stattfinden, eine reine Betrachtung aus der Entfernung, ohne den Versuch zur Bedeutungsbildung.

  2. Selbst - In diesem Punkt soll über das Finden der eigenen Perspektive und Zugehörigkeit eine konzeptualisierten Selbsteinschätzung erreicht werden. Die Erkenntnis: “Ich bin nicht meine Gedanken” ist ein wichtiger Zwischenschritt bei dieser Einschätzung.

  3. Akzeptanz – Nun geht es darum, dem Schmerz mit Offenheit und Neugier zu begegnen. Jedes Gefühl, ob “gut” oder “schlecht” soll angenommen und sämtliche Facetten wertgeschätzt werden. Erlaube Dir, zu fühlen. Hier finden sich wohl die größte Herausforderung und der Kernpunkt von ACT, weshalb dieser Schritt nicht einfach ist.

  4. Präsenz – Die innere Aufmerksamkeit soll in diesem Schritt nicht länger auf der Vergangenheit oder Zukunft liegen sondern vielmehr ins Jetzt schwenken. Im Hier und Jetzt präsent zu sein ermöglicht es, die Ereignisse mit wirklicher Bedeutung erkennen zu können.

  5. Values - Jeder ist in diesem fünften Schritt dazu aufgefordert, seine eigenen Werte des Seins und Handelns zu ermitteln. Diese sollen sich nicht an Deinem Umfeld orientieren oder dem entsprechen, was andere von Dir wollen. Es geht um Deine eigene Selbstbestimmung und Bestimmung, um Deiner lebenslange Reise Deine eigene Bedeutung zu geben.

  6. Action - Schließlich geht es darum, ins Handeln zu kommen. Raus aus der Beständigkeit und dem Alltag sollen neue Gewohnheiten in kleinen Schritten aufgebaut werden. Den eigenen Weg mit psychischer Flexibilität selbst zu gehen zeigt, wieviel die eigenen Handlungen wert sind. Auch wenn es zwischendurch Rückschläge gibt, geht es in die richtige Richtung.

Übungen

Im dritten und letzte Teil des Buches geht Steven C. Hayes auf verschiedene Lebensbereiche ein, in denen ACT angewandt werden kann. Es werden unzählige praktische Tipps gegeben in den Bereichen physische und mentale Gesundheit, Ernährung, sportliche Aktivität, soziale Beziehungen, Berufsumfeld, Erziehung von Kindern und weiteren.

Eine konkrete Übung zu dem ersten Schritt “Defusion” ist mir besonders im Kopf geblieben und ich versuche, sie für mich so oft wie möglich anzuwenden:

Mache Dir zunächst bewusst, dass aufkommende negative Gedanken die Sicht auf andere Dinge versperren. Schreibe Deine negativen Emotionen in Gedanken auf das Innere Deiner Handfläche. Du musst nicht wirklich auf Deine Hand schreiben, stelle Dir einfach vor, Du würdest es tun. Jetzt halte Dir Deine Hand ganz nah vor Dein Gesicht. Es ist nicht möglich, viel mehr zu sehen als Deine eigene Handfläche, oder? Genau so ist es mit den negativen Gedanken. Du siehst nur diese und kannst andere Aspekte aus Deinem Umfeld nicht wahrnehmen. Dein Umfeld ist aber weiterhin noch da, Du kannst es nur nicht sehen, weil Deine Hand so nah vor Deinen Augen Dir die Sicht versperrt. Nimm Deine Hand nun ein wenig von Deinem Gesicht weg und versuche, die Dinge um Dich herum wahrzunehmen. Kannst Du die Hand noch ein Stückchen weiter von Dir entfernen und weitere Teile Deiner Umgebung fokussieren?

Nun stelle Dir vor, dass Du an einem Fluss stehst, einem kleinen Strom, auf dem einzelne Blätter vorbeiziehen. Lege Deinen Gedanken auf ein Blatt und lasse das Blatt auf dem Strom vorbeiziehen. Wenn das Blatt wieder an Dir vorbeikommt, ist das in Ordnung. Nimm auch diesen erneuten Gedanken und lege ihn auf ein weiteres Blatt. Es geht nur darum, an dem Fluss zu stehen und die Blätter zu beobachten.

Dies sind nur zwei kleine Beschreibungen der vielen einzelnen bildlichen Darstellungen aus dem Buch “Kurswechsel im Kopf - von der Kunst, anzunehmen, was ist, und innerlich frei zu werden”*. Mit den verschiedenen Übungen erhältst Du einen ganzen Baukasten voller Möglichkeiten, aus denen Du Dir die für Dich passenden Einheiten heraussuchen kannst.

Fazit

Mir gefällt der Ansatz des Autors, auf die Herausforderungen des Lebens mit Flexibilität zu reagieren, wahnsinnig gut. Die Chance, das Verarbeiten der eigenen Gefühle und Gedanken neu zu lernen und sich zu verändern, sollte aus meiner Sicht nicht unversucht gelassen werden. Unser Leben ist nie ruhig und unser Wachstum nie beendet. Der Weg zur persönlichen Stärke sind mir sehr wichtig und daher habe ich dieses Buch wohl auch so gerne gelesen. Ich bin froh, auf das Thema ACT gestoßen zu sein und werde mich damit sicherlich noch weiter beschäftigen. Das Buch ist aus meiner Sicht ein sehr hilfreicher und fundierter Einstieg in die “Acceptance and Commitment Therapy”.


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